BELLA FIGURA

Liebe Leserin, lieber Leser

Diese kurze Geschichte hatte ich schon vor einigen Jahren geschrieben. Nun scheint das Thema nicht nur aus dem Blickwinkel der Politik und des persönlichen „Aussehens“ gerade wieder viele zu beschäftigen. Wenn sie auch für jemanden, den Sie kennen, von Interesse sein könnte, dann teilen Sie sie bitte gerne. Vielen Dank.

Ich treffe in den letzten Jahren immer wieder Menschen, die ihren Auftritt bei Präsentationen für verbesserungswürdig halten. Dazu gehörte auch Alberta* (*Name geändert). Alberta, eine junge, selbstbewusste Frau, war gross, hatte lange schwarze Haare und ein feingeschnittenes Gesicht. Auf ihrer Nase sass eine elegante Brille, die sie immer wieder mit gestrecktem Zeigefinger zur Nasenwurzel zurückschob. Ihre Kleidung war sorgfältig gewählt. Ihr Aus- und Weiterbildungsrucksack las sich wie das „best of“ der Universitäten. Sie konnte komplexe Sachverhalte in einem Satz auf den Punkt bringen und gleichermassen lebensfroh und gestenreich Anekdoten erzählen, oft mit einer ordentlichen Portion Selbstironie. Hin und wieder erwähnte sie in unseren Gesprächen, sie müsste unbedingt noch an ihrem Auftritt feilen; sie „müsse“ auch bei Präsentationen im Unternehmen eine „bella figura“ machen – gut dastehen. Souveränität werde von Vorgesetzten und Team erwartet. Ich fragte nach kommunizierten Erwartungen, effektiven Anforderungen und nach Vorbildern. Es gab keine. Inhaltlich und formal fühlte sie sich absolut sicher. Es waren ihre eigenen Ansprüche an ihren „Auftritt“. Ob dieser kritisiert worden sei? Nein. Alberta verband ihre Vorstellung von Souveränität nebst ihrem Anspruch an Inhalt und Form, mit einer ruhigen, gelassenen Art, vor Publikum ohne Versprecher, ohne Zögern zu sprechen. Auf meine unvermittelte Frage, ob sie das Auditorium einschläfern wolle, warf sie mir einen erstaunten, etwas vorwurfsvollen Blick zu. Die Zeit war reif; dies war ein Schlüsselerlebnis für Alberta. Sie realisierte, dass ihre Vorstellung von Souveränität nicht mit ihrer Persönlichkeit harmonierte. Wir fanden Anknüpfungspunkte, bei denen es ihr bereits früher gelungen war, sich selbst als gleichwertig anzunehmen, um dann ungünstige Erwartungen an sich selbst loszulassen. Alberta entwickelte Schritt für Schritt einen Präsentationsstil, der ihr entsprach. Sie fand den Weg und den Mut, auch vor Leuten ihren Witz mit ihrem Scharfsinn und ihrer Fachkompetenz zu verbinden, nahm sich vor jedem Auftritt eine Viertelstunde Zeit, sich bewusst auf die bevorstehende Präsentation zu konzentrieren, sich aus der Hektik des Alltags herauszunehmen, ruhig zu werden und um Grundbedürfnisse wie Essen und Trinken zu erfüllen. Mit jedem Mal entfernte sie sich ein bisschen mehr von ihrer Vorstellung eines „glanzvollen“ und makellosen Auftritts. Sie benutzte Medien und Hilfsmittel, mit denen sie sich wohl fühlte. Alberta wurde mit ihren Auftritten zufriedener und sie hatte mehr Energie.

Die meisten Menschen wollen vor anderen Leuten gut dastehen und mit ihrer Leistung zufrieden sein. Niemand blamiert sich gerne. Darum geht es nicht. Es fällt aber auf, dass die Menschen sich intensiv damit befassen, was andere über sie denken mögen. Sie versuchen dann, einem Bild zu entsprechen, von dem sie annehmen, sie müssten es verkörpern. Gewöhnlich sind Originale begehrt.

Sie haben in dieser Kurzgeschichte für sich Inspiration gefunden? – Milde und ein Quäntchen Selbstironie sind für die nähere Betrachtung empfohlen.

Herzlich, Renata Anceschi

© Renata C. Anceschi – Anceschi Human Consulting GmbH Bern