Liebe Leserin, lieber Leser
Ich möchte mit Ihnen eine kurze Episode teilen, weil mich diese kleine «Feldstudie» überraschte. Es ist eine Beobachtung, die eine einmalige Chance offenbart. Vielleicht inspiriert sie Sie. Herzlichen Dank für Ihr Interesse.
Kürzlich bei meiner DH. Der Virus war auch hier das erste Thema. «Also ich hamstere nicht», erklärte sie. Vergangenen Freitagabend habe sie wie gewohnt ein Pfünderli Brot, ein Kilo Äpfel und ihre heissgeliebten Heidelbeer-Joghurts gekauft. «Wie viele Joghurts?» fragte ich vorsichtig nach. Sie zögerte kurz. «Sechs Stück.» Ich schaute sie geduldig schweigend an. «Wie immer?» Ihre Stirn legte sich in feinste Querfältchen. Normalerweise waren es vier. Ein leichtes Schmunzeln huschte um ihre Augen und Mundwinkel. Ich bewunderte sie.
Der Mensch braucht ein gewisses Mass an Sicherheit. Viele brauchen sie insbesondere in Zeiten wie diesen; manchen reichen dazu zwei Heidelbeer-Joghurts mehr im Kühlschrank. Wollen wir jedoch Sicherheit aus uns selbst heraus „erschaffen“, können wir dazu unsere Handlungs- und Gestaltungsfreiräume nutzen. Wir schöpfen dann aus, was in unseren Möglichkeiten liegt. Nur: Wie gross sind diese tatsächlich? Hier kommt uns nun eine einmalige Chance der aktuellen Krise zu Hilfe.
Ein intaktes Selbstbild ist elementar, um diese effektiv bestehenden Freiräume klar zu erkennen und diese für uns zu nutzen. Gelegentlich wankt es jedoch. Punktuell lässt es uns gar im Stich, insbesondere dann, wenn wir uns mit unseren Mitmenschen vergleichen, nicht mit allen, aber mit denen, die in unseren Augen «besser» sind. Dieses «Besser» kann unterschiedliche «Etiketten» tragen – intelligenter, erfahrener, gebildeter, selbstbewusster. Wir kennen diese unwürdigen Vergleiche.
Wir vergleichen uns mit anderen und ziehen vielleicht einen unglücklichen Schluss: «kann ich nicht», «traue ich mich nicht», «kann der andere besser», «ich doch nicht» oder ähnlich. Flugs schränken wir damit unsere Handlungs- und Gestaltungsbereiche ein und damit auch unsere Möglichkeiten. Nicht nur um Sicherheiten zu schaffen. Aktuell gibt’s für das Selbstbild aber nichts mehr zu vergleichen; wir alle sitzen im gleichen Boot, wir wissen nicht, was kommt, können auf keine vergleichbare Erfahrung zurückgreifen. Niemand. Es bleibt uns also nur, die Herausforderungen so gut anzunehmen, wie wir es eben wissen und können. Eine Sternstunde für unsere kreative Seite. Genau. Die Tatsache, dass Vergleiche nun hinken, entzieht einem zuweilen etwas geschwächten Selbstbild den Boden. Was für ein Gedanke?!
© Renata C. Anceschi – Anceschi Human Consulting GmbH Bern